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Das neue raumplanerische Gewissen aus dem Rhystädtli

Über 32'000 neuseeländische Kühe hat er in seinem Leben gemolken und im 2008 nicht für den Kantonsrat kandidiert. Gerade deswegen wird der 42-jährige Architekt Roman Giuliani aus Diessenhofen ab kommendem August den SP-Sitz von Daniel Badraun im Kantonsparlament übernehmen.

Einer der wenigen schönen Frühlingstage. Eingangs Schlattingen weist ein Plakat auf das baldig stattfindende Francine Jordi-Konzert in Diessenhofen hin. Keine fünf Minuten später hat man Diessenhofen dann auch erreicht. Das Städtli am Rhein liegt von Frauenfeld aus schon etwas „ab dem Schuss“. Aber das ist nur eine Sicht der Dinge. Roman Giuliani wohnt und arbeitet hier, über der Raiffeisenbank. Eine von drei Niederlassungen von „moos.giuliani.herrmann.architekten“. Ein stattliches Haus am Rande der Altstadt. Giuliani hofft, dass Diessenhofen im Thurgau nicht allzu sehr an den Rand gedrängt wird. Sein Diessenhofen, das er liebt, den Duft des Rheins, die Leute, das Städtli. Hier fühle er sich daheim, sagt er. Hier könne man sich wohlfühlen, sagt er. Das glaubt man ihm auf’s Wort.

Und bald wird er den linken, sozialen ökologischen Unterthurgau im Kantonsrat vertreten, folgt auf Daniel Badraun, der seit 2004 Einsitz hatte. Obwohl Giuliani 2008 nicht auf der Liste 6 „Sozialdemokratische Partei – Bezirk Diessenhofen“ gestanden ist und erst seit kurzer Zeit SP-Mitglied ist.

Kleinräumigkeit und Weitsicht

Roman Giuliani wird 1968 in Schaffhausen geboren, lebt seit 1970 in Diessenhofen. Giulianis, die kenne man in Diessenhofen. Sein Grossvater SP-Stadtrat, sein Vater, ein FDP-ler, Präsident der Bürgergemeinde. Und wenn man telefonisch Roman Giulianis Nummer erfragt, wird man an den gleichnamigen Onkel, ebenfalls Architekt im Städtli, verwiesen. Giuliani gefallen diese kleinräumigen Strukturen. Wenn er abends im „Bon Huis“ sicherlich noch auf einen guten Bekannten trifft, und man zusammen ein Glas nimmt. Das gefällt ihm, das braucht er. Gleichwohl braucht der Anfangsvierziger im Casual-Style auch die Weitsicht. Er spricht von den positiven Visionen des immer noch unterschätzten Diessenhofens, von der ungekünstelten Weltoffenheit hier im Grenzgebiet Schweiz – Deutschland, von der Greater Area Zurich und der Grossregion Singen/Schaffhausen. Beruflich sei er sehr viel unterwegs. Und nicht zuletzt ist das Reisen eine Leidenschaft, die er mit seiner Lebenspartnerin teilt. Urbane Ballungsräume faszinieren ihn aufgrund ihrer Entwicklungspotenziale. Und auch wenn ihm ein Ort gefällt: Er besucht ihn nur einmal. Er will neue Orte sehen, wie die Menschen leben und wie sie bauen.

Nach dem Architektur-Fachhochschulstudium ist es ein erklärter Traum, bei einem Winzer zu arbeiten. Schlussendlich klappt es „nur“ mit einer Farm in Neuseeland. Kurz nach der Wende hat er längere Zeit in St.Petersburg gearbeitet und die aufkommende Euphorie genossen. Vorletztes Jahr hat er Marokko bereist, letztes Jahr Tunesien. Im Januar 2011 stehe Asien auf dem Programm. Sie würden trampen, organisiert sei noch nichts. 

Unternehmer und Architekt

Roman Giuliani ist Unternehmer und Architekt. Auf Büros in Uster, Andelfingen und Diessenhofen verteilen sich bei „moos.giuliani.herrmann.architekten“ drei Geschäftspartner und 17 Mitarbeitende. Giuliani würde sich selber als liberaler, aber keineswegs liberalisierungsfreudiger Mitte-SP-Mann bezeichnen und als Kleinunternehmer, wie er im Buch stehe, sozusagen ein moderner Patron, einer, der sich seiner sozialen Verantwortung bewusst sei und auch mal eine schlaflose Nacht habe, sich dabei um die Mitarbeitenden sorge. Um zuwenig Arbeit muss sich Giuliani keine Sorgen machen, eher um zuviel. Die flache Hierarchie im Unternehmen zeigt Erfolg. Und immer wieder geht es um Aushandlungsprozesse, ob nun als Architekt in raumplanerischer oder umwelttechnischer Hinsicht oder als Arbeitgeber. Für Giuliani prägen solche institutionalisierten Prozesse die Politik. Giuliani macht also eigentlich schon Politik. Sowieso: SP-Politik und Unternehmertum, das passt für ihn zusammen. Denn die SP mache sich ja auch für die Gewerbler stark, wolle mit ihrer Politik Arbeitsplätze halten und weiter ausbauen. Zudem verspreche das duale Bildungssystem in der Schweiz Erfolg. Was der Staat in die Bildung investiere, trage Früchte, so Giuliani. Er weiss wovon er spricht, wirkt er doch in der Kurskommission der Schaffhauser Hochbauzeichner-Lehrlingsausbildung mit. 

Verdichten und verwesentlichen

Seine sozialen und ökologischen politischen Ansichten hätten sich organisch ergeben, sagt Giuliani. In der SP seien intelligente Leute zu Hause, die SP in Diessenhofen dazu noch ein lustiger Haufen. Evi Schaad, Präsidentin der SP Diessenhofen, habe ihn zuerst wegen einer Stadtratskandidatur angefragt. Da wäre er beruflich zu nahe dran gewesen. Zum Kantonsrat-Mandat habe er dann Ja gesagt. Vielleicht sei der Weg von der Architektur zur Politik schon ein Wagnis. Vielleicht sei die SP glücklich über den Umstand, dass auf einen Lehrer kein Lehrer folge. Giuliani kann nur mutmassen. Sicher ist jedoch, dass er schon heute sehr viel mit öffentlichen Körperschaften zu tun hat. Viele Bauten müssten ihren politischen Weg gehen. Was ihn beruflich beschäftigt und was neben der Bildung einer seiner politischen Schwerpunkte sein soll, ist die Raumplanung und die Landschaftsentwicklung, der Umgang mit der Ressource Land.

Vielleicht sei es ja einfach zu billig, auf dem Feld draussen ein Einfamilienhäuschen hinzuklotzen. Gleichzeitig ständen Innenstädte, die clever, weil verdichtet, gebaut seien, leer. Oftmals werde schon heutzutage aufgrund der Preissituation aus Zürich in den Thurgau ausgewichen, wenn ein Eigenheim in Planung sei. Diesem Druck müsse der Thurgau raumplanerisch standhalten. Man müsse vermehrt von innen nach aussen und damit verdichtet bauen, fordert Giuliani. Redet nicht nur, sondern macht auch. Zum Beispiel zeichnet er für die Umnutzung des Hirschens in Diessenhofen zu einer Genossenschaft verantwortlich. Denn die Wohnsituation müsse der Lebenssituation angepasst werden. Zum Glück setze nach der Einfamilienhäuschen-Flucht der 1980er-Jahre langsam wieder ein Umdenken zur coolen Stadtwohnung ein.

Auch in der Politkultur fordert Giuliani ein Umdenken, hin zu mehr Sachverständnis, Verwesentlichung und gesundem Menschenverstand. Im Kantonsrat will er dazu beitragen. Zuerst will er sich aber ein halbes Jahr Schonfrist geben, um zuzuschauen und die Verhältnisse kennenzulernen. Man wird sicherlich schon vorher von ihm hören.

Roman Giuliani beruflich www.mgh.ch
www.linksrum.ch

Text: Mathias Frei