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18.03.2015

Heute schon für später jammern

Ein nukleares Endlager in der Nachbarschaft: Der Thurgau muss heute auf die negativen Auswirkungen wie sinkende Landpreise hinweisen, um später bei finanziellen Abgeltungen nicht leer auszugehen, findet Kantonsrat Roman Giuliani.
«Wir müssen sagen, dass es uns stört», sagt SP-Kantonsrat Roman Giuliani aus Diessenhofen. Dass im Zürcher Weinland – in unmittelbarer Nähe zum Kanton Thurgau – ein nukleares Endlager gebaut werden könnte, kann Giuliani zwar noch nachvollziehen. Es sei wohl der beste aller schlechten Standorte. Ihn stört aber die Passivität, mit der im Thurgau seit Ende Januar der Entscheid der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hingenommen wird.

Kritik an Zurückhaltung
«Im Thurgau ist man wohl vorerst einfach froh, dass man nur als angrenzendes
Gebiet betroffen ist», sagt Giuliani. Doch für ihn wäre es jetzt an der Zeit, sich intensiver mit dem Tiefenlager auseinanderzusetzen. In Studien soll die Kantonsregierung aufzeigen, welche Auswirkungen das allfällige Endlager auf das Gebiet Untersee und Rhein haben wird. Kantonsrat Giuliani denkt etwa an sinkende Land- und Liegenschaftspreise oder eine aus diesem Gebiet abwandernde Bevölkerung. Der Kanton solle zu befürchtende Einschränkungen für die Region jetzt darlegen, um sich später die Chance auf Ausgleichszahlungen aufrechtzuerhalten, sagt er – bevor es zu spät sei.
Mit dem Thema Tiefenlager ist der Diessenhofer vertraut. Er gehört der Regionalkonferenz Zürich Nordost an und ist dort Mitglied der Fachgruppe Oberflächenanlagen. Mit dem möglichen Standort eines Endlagers im Grenzgebiet zum westlichsten Kantonsteil des Thurgaus beschäftigt er sich somit schon länger. Giuliani stört es, dass sich der Thurgauer Regierungsrat diesbezüglich sehr verhalten zeige, während sich im Kanton Zürich bereits lautstarker Widerstand formierte. Er übe aber nicht Fundamentalkritik an der Thurgauer Regierung, vielmehr wolle er auf die Problematik hinweisen. Roman Giuliani überlegt sich deshalb, mit einem Vorstoss im Grossen Rat den Regierungsrat darauf hinzuweisen, sich intensiver mit der Problematik zu beschäftigen.

Höhe der Gelder völlig ungewiss
Die Thurgauer Regierung beabsichtige nicht, auf Vorrat zu jammern, sagt
Regierungsrätin Carmen Haag. Vielmehr sei zum Thema Endlager bisher sehr
sachlich debattiert worden. Vertreter des Kantons hätten ausserdem in der
Arbeitsgruppe Einsitz, die sich mit einer sogenannten sozioökonomischökologischen
Wirkungsstudie befasse. Diese würden die Auswirkungen des
möglichen Endlagers auf die Umgebung analysieren, sagt Haag: «Wir sind darin
gut vertreten und können uns einbringen.»
Kürzlich habe die Thurgauer Regierung ausserdem explizit einen
Umweltverträglichkeitsbericht über die Auswirkungen der angedachten
Oberflächenanlage angefordert, um auch dort die Auswirkungen auf den Thurgau
abschätzen zu können, obwohl die Anlage ganzheitlich auf Zürcher Gebiet zu
stehen komme. Die Regierungsrätin sieht somit keinen Bedarf, derzeit als Kanton
zusätzlich eigene Studien über mögliche Auswirkungen eines nuklearen
Endlagers in Auftrag zu gegen.
Wie hoch allfällige finanzielle Entschädigungen für Gemeinden in der Nähe eines
nuklearen Endlagers jemals sein könnten, wissen heute weder Regierungsrätin
Carmen Haag noch Kantonsrat Roman Giuliani.

In 15 Jahren eine Abstimmung
Ende Januar verkündete die Nagra überraschend, dass nur noch der Aargau und
das Zürcher Weinland als mögliche Standorte für Endlager in Frage kämen.
Derzeit prüfen Bundesbehörden diesen Entscheid. Voraussichtlich Mitte 2017
beschäftigt sich der Bundesrat mit dem Standort. Falls nach dem dereinstigen
Parlamentsentscheid das fakultative Referendum ergriffen wird, könnte es etwa
im Jahr 2029 zu einer eidgenössischen Volksabstimmung über die Standorte für
geologische Tiefenlager kommen.

Diesen Artikel finden Sie auf St.Galler Tagblatt Online

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